Forum Weltkirche - Zeitschrift für Kirche und Gesellschaft mit weltweitem Blick

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»Entwicklungspolitische« Freiwilligendienste

 

Zwischen kolonialen Kontinuitäten, Bildung und Solidarität

von Benjamin Haas

»Are you also a volunteer?« – so lautet heute die wohl gängigste Frage in den Hostels von Ghana, Kambodscha oder Costa Rica.  Freiwilligendienste in einem sogenannten »Entwicklungsland« sind unter jungen Menschen weltweit so populär wie nie. Hunderttausende enthusiastische, finanziell gut ausgestattete und meist weiße junge Freiwillige aus dem Globalen Norden reisen jährlich in den Globalen Süden und engagieren sich in sozialen oder ökologischen Einrichtungen. Sind sie reiner Abenteuerurlaub oder zeitgemäßes Bildungsinstrument? Und was hat Kolonialismus mit dem Engagement zu tun?

Autor

Benjamin Haas

Kulturanthropologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung an der Universität zu Köln. Er beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren beruflich und wissenschaftlich mit Freiwilligendiensten

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Der lange Weg zu staatlicher Förderung

Internationale Freiwilligendienste gibt es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Seither hat sich diese Form des internationalen Engagements stark gewandelt und in immer neue Felder ausgebreitet. Neben zweijährigen Fachdiensten – wie den »Entwicklungshelfern« – oder den Jugendfreiwilligendiensten geht das Spektrum bis hin zum Micro-Volunteering. Dabei dürfen zum Beispiel Kreuzfahrttourist*innen beim Landgang wenige Stunden in sozialen Projekten »helfen« – gegen Bezahlung. An dieser Stelle stehen die Dienstarten im Fokus, die von staatlichen, zivilgesellschaftlichen, hierzu zählen auch die kirchlichen, und privaten Organisationen und Unternehmen heute für Jugendliche in Deutschland angeboten werden und im Kontext der sogenannten »Entwicklungszusammenarbeit« angesiedelt sind.

Rund vier Jahrzehnte lang hatten zivilgesellschaftliche und kirchliche Akteure internationale Jugendfreiwilligendienste fern jeder staatlichen Intervention aufgebaut und gestaltet. Finanziert wurden sie zumeist durch die Freiwilligen beziehungsweise deren Spender* innen aus dem privaten Umfeld. Erst durch die Ausweitung des Freiwilligen Sozialen und Ökologischen Jahres (FSJ/FÖJ) auf das Ausland in den 1990er-Jahren gab es erstmals geringe staatliche Förderung für das Auslandsengagement junger Menschen. Viele Trägerorganisationen nutzten fortan das FSJ/FÖJ im Ausland, um junge Menschen in Länder des Globalen Südens zu entsenden. Sie verstanden die Jugendfreiwilligendienste in erster Linie als Bildungsdienste, in denen interkulturelles Lernen stattfinden sollte. Auch die Einsatzstellen sollten von den zusätzlichen Händen profitieren, das Engagement stand jedoch nicht in direktem Zusammenhang mit »Entwicklungszusammenarbeit «.

Dies änderte sich mit der Einführung des Förderprogramms Weltwärts durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Jahr 2007 grundlegend. Seither gibt es umfangreiche staatliche Förderung für das Engagement im Globalen Süden. Um Finanzierung zu erhalten, mussten Trägerorganisationen den »entwicklungspolitischen Mehrwert« des Freiwilligeneinsatzes nachweisen. Der Vor- und Nachbereitung sowie der pädagogischen Begleitung wurde in den Weltwärts-Richtlinien daher eine wichtige Rolle zugeschrieben und entsprechend Geld dafür einkalkuliert. Gleichzeitig machte das Ministerium mit dem Motto »Lernen durch tatkräftiges Helfen« deutlich, dass die Freiwilligen sich zwar auch bilden sollen, man sie aber vornehmlich als junge »Helfer*innen« versteht, die zur »Entwicklung« der Empfängerländer beitragen sollen. Der Leitsatz sorgte für Unmut in der Zivilgesellschaft, war der Hilfsdiskurs in der »Entwicklungspolitik« doch bereits durch den der »Partnerschaftlichkeit« oder »Zusammenarbeit « abgelöst. Rund 180 zivilgesellschaftliche, darunter auch viele kirchliche Trägerorganisationen ließen sich für das Programm anerkennen. Sie können bis zu 75 Prozent der Kosten (höchstens 580 Euro/Freiwilligen-Monat) für die sechs- bis zwölfmonatige Entsendung junger Menschen zwischen 18 und 28 Jahren durch das BMZ gefördert bekommen. Die Entsendezahl hat sich auf circa 3.500 pro Jahr eingependelt.

Im Jahr 2009 legten das Auswärtige Amt (AA) mit dem Programm Kulturweit und 2012 das Jugendministerium mit dem Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) nach, die sich an eine ähnliche Zielgruppe richten. Die Programme sind jedoch nicht auf sogenannte »Entwicklungsländer« beschränkt, und es besteht auch kein offizieller Bezug zur »Entwicklungszusammenarbeit «. Dass sich Freiwillige selbst jedoch in der Rolle der »Entwicklungshelfer*innen« sehen, ist aufgrund des gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsdiskurses in vielen Fällen wahrscheinlich.

Kirchliche Formate wie das Diakonische Jahr im Ausland (DiJ) und Missionar auf Zeit (MaZ) treten nach außen zwar als selbstständige Programme auf, nutzen zur Finanzierung »ihres« Dienstes aber ebenfalls meist Förderprogramme wie den IJFD oder Weltwärts. In diesem Fall müssen sie die eigenen Ziele mit den Vorgaben der Ministerien in Einklang bringen, sich im Fall von Weltwärts also auch der »Entwicklungspolitik« verschreiben. Nur noch sehr wenige Trägerorganisationen bieten Jugendfreiwilligendienste außerhalb dieser Förderprogramme an.

Vor allem die Einführung von Weltwärts hat die Internationalen Freiwilligendienste also zusehends in den Bereich der offiziellen »Entwicklungszusammenarbeit« gerückt. Gleichzeitig wurde auch die pädagogische Begleitung – also der Lerncharakter der Auslandsdienste – durch deren Finanzierung gestärkt. Daraus entstand ein Spannungsfeld, das kaum aufzulösen ist – dazu später mehr. Der einjährige Dienst wurde zum Standard, was aus pädagogischer Sicht von vielen Organisationen als optimal angesehen wurde: genug Zeit, um vor Ort in das Leben einzutauchen, zu verstehen und eigene Deutungsmuster der Welt und Vorurteile zu hinterfragen.

 

Helfen mit Fun-Faktor

Die Nachfrage nach den eben beschriebenen Freiwilligendiensten nahm in den vergangenen Jahren ab, so berichten zahlreiche Entsendeorganisationen wie zum Beispiel EIRENE. Vielen jungen Menschen ist der einjährige Dienst mit Vor- und Nachbereitung und pädagogischer Begleitung zu lang und zu aufwändig. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen sie sich heute bewegen, zeichnen sich durch Effizienz, Beschleunigung und zunehmende Eigenverantwortung gegenüber weniger Solidarität aus, so zeigen es jüngste Jugendstudien. Das führt zu einer gesteigerten Nachfrage nach Möglichkeiten des sozialen Engagements im Ausland von wenigen Wochen oder Monaten. Die lassen sich besser mit einer beschleunigten Lebensplanung vereinbaren. Hinzu kommt eine steigende Anspruchs- und Konsumhaltung, aus deren Perspektive der Freiwilligendienst zu einem Baustein einer immer aktiver gebastelten Lebenslaufarchitektur der Bildungselite wird, für den die Familie auch gerne ein paar Tausend Euro selbst aufbringt.

Der private Sektor hat die Potenziale des Produkts »Abenteuerurlaub in Verbindung mit einem freiwilligen Einsatz« erkannt und bedient die steigende Nachfrage nach vermeintlich authentischen »Armutserfahrungen « in Kombination mit dem Gefühl, »etwas Gutes zu tun« mit sogenannten Voluntourismus-Angeboten. Der Begriff und die Idee stammen aus dem angelsächsischen Raum, wo sie bereits seit den 1990er- Jahren großen Zulauf haben. »Voluntourismus« beschreibt die Verbindung von Reisen und Abenteuer mit Freiwilligenarbeit und »Entwicklungshilfe«. Dabei können Interessierte ihren Einsatz im Reisebüro oder online flexibel und maßgeschneidert buchen. Für viele zahlungskräftige junge Menschen bieten in Deutschland Unternehmen wie die NGO Taxi GbR oder das internationale Tourismusunternehmen STA Travel eine attraktive Alternative zu Weltwärts und Co. Neben den rein kommerziellen Veranstaltern gibt es auch gemeinnützige Organisationen, die sich auf Kurzzeit-Freiwilligeneinsätze spezialisiert haben. Expert*innen von Tourism Watch schätzen die Zahl der Voluntourist*innen in Deutschland auf mehr als 20.000 im Jahr – Tendenz steigend.

Voluntourismus-Anbieter präsentieren sich gerne als Ermöglicher für junge Menschen, sich im Sinne der »Entwicklungszusammenarbeit« für bessere Lebensbedingungen im Globalen Süden einzusetzen. Egal, ob zwei Wochen oder zwei Monate: Jede*r kann – schenkt man den Hochglanzbroschüren und Internetseiten Glauben – in wenig Zeit viel verändern. Kaum einer dieser Anbieter orientiert sich an Qualitätsstandards für Freiwilligendienste. Weder die pädagogische Begleitung noch die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen spielt hier eine Rolle. Die Einsatzstellen werden zu reinen Dienstleistern und Engagement zu einer Ware, die man kaufen kann.

Auf den ersten Blick scheinen die Voluntourismus- Formate also deutlich problematischer als die staatlichen Förderprogramme. Ein grundlegendes Problem haben beide jedoch gemeinsam: Sie reproduzieren koloniale Muster.

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Foto: privat
»Teach on the Beach« (»Unterrichte am Strand«), steht auf diesem Haus am Strand von Busua, Ghana. Immer mehr junge Menschen bevorzugen kurzzeitige Auslandseinsätze, bei denen Spaß und Abenteuer mindestens genauso wichtig sind wie das soziale Engagement. Diesen Voluntourismus-Angeboten fehlt jedoch die pädagogische Vor- und Nachbereitung der Freiwilligen.