Frieden und Zusammenhalt

Wenn Corona nicht alles ist

 

Die Wahl zwischen zwei Übeln

von Gregor Schmidt

Der Comboni-Pater Gregor Schmidt lebt seit elf Jahren im Südsudan, acht Jahre davon bei dem Hirtenvolk der Nuer. Zusammen mit einem weiteren Pater aus Uganda und einem Bruder aus Mexiko betreuen sie die Holy Trinity-Pfarrei in der Diözese Malakal. Das Gebiet liegt im Sudd, dem Überschwemmungsgebiet des Nil, und ist etwa achtmal so groß wie Berlin. Im Sudd gibt es keine Straßen für Fahrzeuge. Kapellen können nur zu Fuß oder mit dem Boot erreicht werden. Die Region ist weder an das Strom- noch an das Telefonnetz angeschlossen.

Autor

Gregor Schmidt

Der Comboni-Missionar hat seinen Orden in Peru im Rahmen seines Zivildienstes kennengelernt. Er studierte katholische Theologie in Bonn, Jerusalem und Innsbruck. Seit elf Jahren lebt Pater Gregor unter  Hirtenvölkern im Südsudan, zuerst bei den Mundari und seit acht Jahren bei den Nuer. Er betreut die Holy Trinity-Pfarrei in der Diözese Malakal. Das Gebiet liegt im Sudd, dem Überschwemmungsgebiet des Nil.

Hintergrund

Der Südsudan gehört in jeder Hinsicht zu den Schlusslichtern Afrikas. Sechs Jahre nach Ausbruch des Bürgerkrieges haben die Konfliktparteien endlich begonnen, in einer Übergangsregierung zusammen zu arbeiten. Es herrscht politische Instabilität und Gesetzlosigkeit. Industrie, Schulwesen und Gesundheitssystem sind am Boden und sind auch in den Jahren vor dem Bürgerkrieg kaum entwickelt worden. Es gibt keine einzige produzierende Fabrik im Land. Drei von vier Südsudanesen sind Analphabeten. Die Gesundheitsversorgung funktioniert nur an den wenigen Orten, wo Kirchen oder humanitäre Organisationen die Verantwortung tragen. Die Sterblichkeitsrate durch Krankheiten und Mangelernährung gehört zu den höchsten weltweit. Dazu kommen etwa 400.000 Bürgerkriegstote in den vergangenen sechseinhalb Jahren.

In dieser Situation stellt die Ankunft der Covid-19-Epidemie eine zusätzliche Herausforderung dar. Man kann aber auch fragen, in wieweit die Epidemie ins Gewicht fällt, wenn andere, größere Krisen die Bevölkerung plagen. Die Antwort fällt nicht einheitlich aus und hängt davon ab, ob Menschen in der Stadt oder auf dem Land leben. Bemerkenswert ist zum Beispiel die Erklärung des ökumenischen South Sudan Council of Churches (Südsudanesischer Kirchenrat, SSCC) vom 13. Mai 2020, dass die Virus-Epidemie für die Konfliktparteien ein Anlass sein sollte, jetzt wirklich alle Kämpfe einzustellen. Neben bewaffneten Angriffen, die dem Bürgerkrieg zugerechnet werden, gibt es parallel viele andere inter-ethnische Konflikte mit tausenden Toten jedes Jahr. Aber die meisten Menschen sterben an Krankheiten, die einfach durch Vorsorge oder durch Medikamente verhindert werden könnten.

 

Schutzmaßnahmen und deren Folgen

Weil die mangelnde, bisweilen nicht-existente Gesundheitsversorgung schon mit gewöhnlichen Krankheiten überfordert ist, ist von vornherein klar gewesen, dass der Südsudan Covid-19 Patienten nicht angemessen behandeln kann. Daher hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geraten, vor allem auf präventive Maßnahmen zu setzten. So hat die Regierung seit dem 20. März das öffentliche Leben stark eingeschränkt, obwohl es damals noch keinen bekannten Corona-Fall gab. Im ganzen Land wurden alle Schulen geschlossen, Gottesdienste und andere öffentliche Veranstaltungen abgesagt und in der Hauptstadt eine Ausgangssperre in der Nacht verhängt. Alle Grenzübergänge wurden geschlossen und internationale Flüge eingestellt. Drei Wochen später, als die erste infizierte Person in der Hauptstadt Juba identifiziert wurde, ist auch der Inlandsverkehr für Passagiere auf der Straße, auf dem Nil und in der Luft fast vollständig eingestellt worden.

Bis Ende Mai wurden etwa 800 Fälle gemeldet, darunter das halbe Kabinett, der Vizepräsident, dessen Frau und Gerüchten zufolge sogar der Präsident. Alle Mitglieder der Sondereinheit der Regierung („High-level Taskforce on Covid-19“), die Schutzmaßnahmen für das Land vorschlagen und umsetzen soll, sind auch am Virus erkrankt. Die Zahl der bekannten Fälle ist übrigens nur deshalb so niedrig, weil so wenig getestet wird. Die wirkliche Zahl der Infizierten dürfte in der dichtbevölkerten Hauptstadt weit höher liegen. Die Regierung hat die Zahl der Intensivbetten mit Sauerstoffbeatmung in Juba von 24 auf 100 erhöht. An vier Betten können Patienten mechanisch beatmet werden. Das ist jedoch noch nicht einmal der besagte „Tropfen auf den heißen Stein“, denn im Land leben mehr als elf Millionen Menschen.

Die Schutzmaßnahmen in Juba und anderen Städten verhindern, dass viele Menschen sich ihren Lebensunterhalt verdienen können. Viele arbeiten im informellen Sektor und müssen das „täglich Brot“ jeden Tag von neuem erwirtschaften. Der Lockdown verbietet viele Formen von informeller Erwerbsarbeit oder macht sie für diesen Zeitraum überflüssig. Viele Arbeitnehmer wurden entlassen. Angestellte des öffentlichen Dienstes sind es ohnehin gewohnt, Monate auf ihre Gehälter zu warten. Gleichzeitig sind die Lebensmittelpreise um 30-75 Prozent gestiegen. Wenn schon der Bürgerkrieg eine Katastrophe verursacht hat, so stellen die ökonomischen Folgen der Epidemie eine weitere Bürde für die Stadtbevölkerung dar. Sozialstaat und Krankenversicherung gibt es nicht. Einige Experten befürchten, dass die (indirekten) Todesfälle aufgrund des Lockdowns höher sein werden, als wenn sich die Bevölkerung ohne Schutzmaßnahmen mit dem Virus infizieren würde. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) sagt voraus, dass aufgrund der Epidemie anstatt sechseinhalb nun acht Millionen Südsudanesen dieses Jahr hungern werden.

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FOTO: PRIVAT
Die Region, in der Pater Gregor Schmidt arbeitet, liegt sehr abgeschieden. Zu Fuß und per Boot besucht er seine Gemeinden. In der Regenzeit ist es besonders mühsam, die Gläubigen zu erreichen.
FOTO: PRIVAT
Wenn Ware nach einer langen Reise aus der 600 Kilometer entfernten Hauptstadt Juba geliefert wird, ist das ein besonderes Ereignis. Alle helfen mit beim Entladen der Boote.