Rassismus bekämpfen

Sich den Realitäten stellen

Die imperialistische Überheblichkeit durchbrechen

von Regamy Thillainathan

Rassistische Diskriminierung kann nicht einfach durch eine kosmetische Anwendung überwunden werden. Die Umbenennung von Straßennamen und Lebensmitteln reicht somit nicht aus. Die angestoßene gesellschaftliche Debatte eröffnet vielmehr auch für uns als katholische Kirche die Möglichkeit, uns mit unserem eigenen strukturellen Rassismus ernstgemeint auseinanderzusetzen. Inwiefern sich in unserer deutschgeprägten Theologie koloniale Elemente und eurozentrische Lesarten wiederfinden, soll im Nachgang untersucht werden.

In den Wochen vor Weihnachten ist die Diskussion entbrannt, ob die Heiligen Drei Könige mit rassistischen Merkmalen in einer Weihnachtskrippe stehen oder ob Sternsinger mit einem künstlich geschwärzten Gesicht ausgesandt werden dürfen. Die Diskussionen erinnern an die hitzig geführten Debatten über die Umbenennung von Straßen wie der »Mohrengasse« oder anderer rassistisch anmutender Namen und Bezeichnungen – so wie die »N*-küsse« oder das »Zigeunerschnitzel «. Immer dann, wenn sich die Frage stellt, wie dieses Land mit Minderheiten und mit der eigenen (kolonialen) Geschichte umgehen soll, scheint es bei einigen Zeitgenossen nur eine mögliche Strategie zu geben: die »cancel culture«. Entfernen und verbannen. Wenn wir nichts sehen und nichts hören, wird sich das Problem schon von allein lösen. Natürlich müssen wir uns kritisch mit unserer Sprache und unseren Bräuchen auseinandersetzen. Aber anstelle einer Auseinandersetzung greift immer wieder der irreführende Mechanismus »Aufregen, Verbannen, Vergessen«. Hierdurch werden aber nicht dieWurzeln von Diskriminierung und Rassismus behandelt, sondern lediglich die Symptome. Ist das diskriminierende Wort, die diskriminierende Straße oder Figur verschwunden, ist das Rassismusproblem jedoch nicht gelöst. Es ist nur weniger sichtbar.

Autor

Regamy Thillainathan

hat sri-lankische Wurzeln und ist in Neuss aufgewachsen. Nach seinen Studien in Bonn, Pune (Indien) und Burgos (Spanien) wurde er 2009 in Köln zum Priester geweiht. Seit 2015 leitet er die Diözesanstelle für Berufungspastoral im Erzbistum Köln. Er gehört der Corpus-Christi-Priesterbewegung an, die von der Heiligen Mutter Teresa von Kalkutta gegründet wurde. Sein Einsatz für die Priester- und  Schwesterngemeinschaften führt ihn regelmäßig ins Ausland.

Diskriminierung wird nicht nur bei der Benennung von bestimmten Lebensmitteln und Straßennamen sichtbar: Auch die katholische Kirche und die katholische Theologie in Deutschland müssen sich ihrem strukturellen Rassismus stellen, wenn sie es wirklich ernst meinen. Ja, es gibt Rassismus in unserer Kirche in Deutschland. Ja, es gibt ein koloniales Erbe in unserer Kirche in Deutschland. Ja, die Überheblichkeit gegenüber anderen Kulturen ist noch immer tief in unserem kollektiven Bewusstsein verankert.

Die Diskussion rund um die Amazonassynode im Oktober 2019 hat gezeigt, dass wir Deutschen wie selbstverständlich davon ausgehen, der Nabel der Welt zu sein. Das nachsynodale Schreiben an die Menschen im Amazonasgebiet, in dem der Papst uns alle mit eindringlichen Worten auf die himmelschreiende Ungerechtigkeit im Amazonasgebiet hinweisen wollte, wurde bei uns in Deutschland ganz anders gelesen. Statt die Frage zu stellen, was wir für die Menschen im Amazonasgebiet und der Kirche vor Ort tun können, wurde das Dokument ganz und gar auf unsere eigenen Erwartungen bezüglich bestimmter kirchenpolitischer Themen hin rezipiert. Es wurde aus einer eurozentrischen, fast schon germanozentrischen Sicht gelesen. Hinweise auf diese vereinnahmende und damit missbräuchliche Lesart wurden nicht etwa als wichtige Beiträge zur Rassismus- und Kulturimperialismus-Debatte wahrgenommen, sondern lediglich als ebenfalls kirchenpolitisches Statement in eine konservativere Stoßrichtung abgetan. Über kirchenpolitische Themen lässt es sich wohl einfacher streiten, als sich den eigenen strukturimmanenten Ungerechtigkeiten zu stellen.

 

Lernfeld und Befreiungstheologie

 

In den theologischen Forschungen der letzten Jahre ist immer öfter die Rede von einem Erwachen der Volksreligiösität in den verschiedenen ....

 

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FOTO: KNA-BILD
Papst Franziskus begrüßt Teilnehmer der Amazonas-Bischofssynode im Oktober 2019 im Vatikan. Regamy Thillainathan stellt aus der Retrospektive fest, dass das nachsynodale Schreiben Querida Amazonia bei uns jedoch nur aus eurozentrischer Perspektive gelesen und interpretiert wurde und daher hinter einer kritischen Analyse des globalen Machtsystems zurückblieb.