Forum Weltkirche - Zeitschrift für Kirche und Gesellschaft mit weltweitem Blick

Integrale Mission

Interview mit Thomas Fornet-Ponse

von Marita Wagner

 

Worin besteht der Untersuchungsgegenstand Ihrer Habilitationsschrift?

Ich untersuche auf der Basis der Diskussion um das Verständnis des Zweiten Vatikanums als »Pastoralkonzil« die christologischen Ansätze von Edward Schillebeeckx, Jon Sobrino und Jacques Dupuis und deren Konflikte mit der Glaubenskongregation. Dabei berücksichtige ich, wie der jeweilige Ansatz in der Auseinandersetzung mit seinem Kontext und dessen Herausforderungen entwickelt wurde: Den Kontext einer säkularen Gesellschaft der (Spät-)Moderne (Schillebeeckx), den Kontext von Armut und Unterdrückung (Sobrino) und den Kontext anderer Religionen (Dupuis). Diese Ansätze verstehen sich als kontextuelle Christologien, womit es auch um das Verhältnis von Universalität und Partikularität beziehungsweise Kontextualität geht.

Ich zeige, dass Kontextualität, Geschichtlichkeit und Pluralität von Theologie wichtige Konsequenzen der pastoralen Wende des Konzils darstellen. Ich analysiere die daraus entstehenden Konflikte und entwickle eine fundamentaltheologische Konflikttheorie, die konkrete Lösungsstrategien und Verfahrensregeln berücksichtigt. Das betrifft insbesondere das Verhältnis von wissenschaftlicher Theologie und kirchlichem Lehramt.

Das Interview führte

Marita Wagner

Thomas Fornet-Ponse

ist Leiter der Abteilung Bildung des katholischen Missionswerks missio Aachen e.V.

Thomas Fornet-Ponse
Christologie als Konfliktgeschichte. Die Konflikte um Edward Schillebeeckx, Jon Sobrino und Jacques Dupuis und ihr Beitrag zu einer fundamentaltheologischen Konflikttheorie, Paderborn 2021

Wann sind Konflikte konstruktiver, wann destruktiver Natur?

Für diese Frage ist die soziologische Konfliktforschung von Georg Simmel hilfreich. Dieser hat die Integrationsfunktion von Konflikten herausgearbeitet, da sich durch sie Gruppen konstituieren. Konflikte können destruktive wie konstruktive Auswirkungen haben. Ihre integrierende Funktion üben sie aus, wenn die streitenden Parteien sich nicht gegenseitig vernichten wollen, sondern sich an gemeinsamen Prinzipien orientieren. Hintergrund vieler Konflikte ist die gesteigerte soziale Differenzierung und Individualisierung, weil Menschen in verschiedenen sozialen Kreisen wechselwirken und diese unterschiedliche, sich widersprechende Ansprüche stellen können. Eine Beendigung von Konflikten erfolgt durch Wegfall des Streitobjektes, Sieg als radikalster Form, Versöhnung als subjektiver Form oder dem Kompromiss als gesellschaftlicher Form. Ein Kompromiss rekurriert auf einen gemeinsamen Wertmaßstab – die den Konflikt auslösenden Gegensätze werden dadurch aber nicht aufgelöst. Lewis Coser hat den Zusammenhang von Konflikten und sozialen Strukturen untersucht und dabei herausgestellt, dass Konflikte ihre integrierende produktive Funktion eher ausüben können, wenn sie in einer flexiblen sozialen Struktur und offenen Gesellschaft ausgetragen werden als in starren Strukturen, die eine geringe Toleranz und Institutionalisierung von Konflikten aufweisen und dadurch leichter an ihnen scheitern können.

Diese Argumente, Konflikte in einer geregelten Form auszutragen und sie nicht notwendigerweise durch Beseitigung der sie auslösenden Widersprüche oder Gegensätze zu lösen, sind auch theologisch anschlussfähig.

Zu einem gestatteten Konflikt gehören Regeln der Konfliktaustragung, die insbesondere dem schwächeren Teil eine faire Chance bieten, zu seinem Recht zu kommen. Auch das Verständnis von kirchlicher Einheit ist davon betroffen, da diese durch Konflikte und deren Austragung dann nicht gefährdet ist, wenn Einheit nicht als Abwesenheit innerer Gegensätze, sondern als Gemeinschaft verstanden wird, die Gegensätze und Konflikte aushält und diese miteinander verbindet. Dies kann gelingen, wenn das Bekenntnis zu Christus und seinem Evangelium den Einheitspunkt bildet, auf den sich alle Parteien auch über sachliche Gegensätze hinweg beziehen.

 

Was bedeuten die theologischen Konflikte der heutigen Zeit für die Einheit der Weltkirche?

Bei vielen aktuellen Konflikten zeigen sich gemeinsame Ursachen, nämlich die jeweils gewählten unterschiedlichen Vorgehensweisen: Auf der einen Seite eher deduktiv, weitgehend von der konkreten Situation abstrahierend und Pastoral als Anwendung der Lehre verstehend. Auf der anderen Seite eher induktiv, von der konkreten Situation ausgehend nach den Konsequenzen für Pastoral und Lehre fragend.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach einem angemessenen Umgang mit solchen Konflikten, da es mit Blick auf die fundamentalen Differenzen in der Vorgehensweise nicht möglich sein dürfte, sie einfach zu unterdrücken oder einen Sachkompromiss zu finden. Dies verschärft sich dadurch, dass einige der Kritiken implizieren, dass eine Beendigung dieses Konflikts nur möglich ist, wenn sich die eigene Position durchsetzt. Sie müssten also in geeigneter Weise ausgetragen werden und können dann zu einer kirchlichen Einheit beitragen, die sich aufgrund der Vielfalt der Kontexte und Herausforderungen auch plural gestaltet, dabei aber der Einheit mit den anderen, zum Teil sehr verschiedenen Positionen, bewusst bleibt.

 

Welche Chancen ergeben sich aus einer theologischen Konflikttheorie für unser gemeinsames Kirche-Sein?

Ich plädiere dafür, die Einheit der Theologie in der gemeinsamen Kommunikation zu sehen und im gemeinsamen Streben danach, die vielfältige Realität zu verstehen und im Licht des Evangeliums zu deuten und zu transformieren. Dies ist eine Konsequenz aus der vom Zweiten Vatikanum vorgenommenen Verhältnisbestimmung vom Innen und Außen der Kirche. Wenn das Außen der Kirche konstitutive Bedeutung für ihr Innen und damit ihr Selbstverständnis besitzt, ist die Theologie gefordert, sich mit dem Außen in seiner Komplexität und Pluralität auseinanderzusetzen und wird dadurch selbst plural. Gelingt es, die unterschiedlichen Ansätze, Rationalitäten, Hermeneutiken etc. miteinander ins Gespräch zu bringen, ist diese Pluralität keine Schwäche. Stattdessen können die jeweiligen Perspektiven mit ihren Besonderheiten zur Geltung kommen und ihren Beitrag zum Verständnis der pluralen Welt leisten.

Eine interkulturelle Fundamentaltheologie kann ihre Einheit gerade darin sehen, der komplexen Realität, mit der sie sich auseinandersetzt, gerecht zu werden, indem unterschiedliche Perspektiven und Rationalitätstypen miteinander in einen Dialog gebracht werden, ohne eine spezifische zu begünstigen. Dies kann mithilfe der Metapher einer kollektiv improvisierenden Jazz-Combo ausgedrückt werden. Die Musiker sind gleichberechtigt und kommunizieren miteinander, beeinflussen einander im Verlauf der Improvisation, was von einer weniger guten zu einer stimmigeren Improvisation führen kann. Dies schließt nicht aus, dass es Qualitätsunterschiede zwischen Philosophien und Theologien gibt, die aber nicht chronologisch oder geografisch begründet werden, sondern mit Kriterien wie Konsistenz, Kohärenz, Erfahrungsoffenheit und -bezug oder Erklärungspotenzial. Die Offenheit zum Dialog schließt die Bereitschaft zur gegenseitigen Kritik mit ein, um gemeinsam im Prozess der Suche nach Wahrheit weiterzukommen.

LITERATURHINWEIS
Thomas Fornet-Ponse, Streit um des Himmels willen? Wie innerkirchliche Konflikte produktiv geregelt werden können, in: StZ 145 (2020), 203 –212.

Thomas Fornet-Ponse
Christologie als Konfliktgeschichte. Die Konflikte um Edward Schillebeeckx, Jon Sobrino und Jacques Dupuis und ihr Beitrag zu einer fundamentaltheologischen Konflikttheorie, Paderborn 2021

BRILL
Buch Thomas Fornet-Ponse, Christologie als Konfliktgeschichte. Die Konflikte um Edward Schillebeeckx, Jon Sobrino und Jacques Dupuis und ihr Beitrag zu einer fundamentaltheologischen Konflikttheorie